Irvin L. Kendall im Interview

Buchcover: ©Irvin L. Kendall
Hintergrund: ©eberhard grossgasteiger | unsplash

Wie bist du zum Schreiben gekommen, und wie lange schreibst du schon?

Ich habe letztlich immer geschrieben, schon mein ganzes Leben lang. Mein Debüt ist 1990 erschienen, aber es war nicht so einfach, ›von irgendwas mit Büchern‹ leben zu können, also habe ich eine Weile was gänzlich anderes gemacht. Ich habe dann erst wieder mehr geschrieben, seitdem ich als freier Lektor auf dem Kindle-Markt tätig bin, also seit rund 15 Jahren. Allerdings betrachte ich es als Hobby.

Welche Aspekte sind dir in deinen Büchern wichtig, was willst du vermitteln?

In meinen queeren Büchern sind meine Charaktere entweder zufällig schwul und es geht mehr um die Handlung als solche (›Chained‹, ›Grossmeister der Gedanken‹), oder ich beschäftige mich direkt mit Problemen, die queere Personen haben (können). (›Sturm über Sodom‹ / ›Boston‹)
Das klassische Coming Out ist dabei nicht mein Ding. Meine Charaktere wissen, wer sie sind. Sie sind somit eher mit gesellschaftlichen oder rechtlichen Problemen konfrontiert, mit Ablehnung und Vorurteilen. Somit könnte man sagen, dass es mir bei meinen queeren Büchern am meisten darum geht, zu vermitteln, dass wir nicht aufhören dürfen, für Gleichstellung und Toleranz zu kämpfen.
Pride ist für mich auch in anderer Hinsicht ein Anliegen. Ich finde, es betrifft alle, die als »anders« betrachtet werden, Wir sind, was wir sind, und es wichtig, stolz darauf zu sein.

Worüber würdest du gerne einmal schreiben, hast dich bisher aber noch nicht herangetraut?

Ich schreibe über das, was meine Muse mir so eingibt, es gibt aber Genres, in denen bestimmte Themen einfach nicht passen. Herantrauen ist somit nicht das richtige Wort. Wenn ich unbedingt etwas schreiben will, mache ich das auch.

Welche Autoren liest du selbst gerne und warum?

Ich gestehe hiermit, dass ich nicht lese. Das hat nichts mit Desinteresse oder Ignoranz zu tun, sondern schlicht mit meinem Hauptberuf als Lektor. Ich lese jeden Tag acht Stunden. Wenn ich frei habe, schreibe ich selbst oder gucke eine Serie oder hänge mit der Katze ab, aber ich habe null Lust, zu lesen. Ist leider eine Berufskrankheit.

Was tust du, wenn du eine Schreibblockade hast?

Ich warte einfach, bis sie vorbei ist. Es hat noch nie geholfen, zu versuchen, sie zu brechen, oder mich zu motivieren oder an Ideen festzuhalten, die mich nach der ersten Skizze dann doch nicht überzeugen. Es muss mich packen und mitreißen. Alles andere ist sinnlos.

Welches deiner Bücher liegt dir am meisten am Herzen?

Sturm über Sodom‹ und ›Sturm über Boston‹, gerade, weil sie so politisch und gesellschaftskritisch sind.

Wie gehst du mit negativen Rezensionen um? Belastet dich diese Kritik, oder versuchst du daraus für die Zukunft zu lernen? Natürlich nur, sofern es sich um konstruktive Kritik handelt.

Ja, das ist immer der erste Punkt. Ist die Kritik konstruktiv oder geht es um was anderes? Ist es Geschmackssache oder geht es um etwas Objektiveres? Ich gebe zu, dass ich mich über blödsinnige Rezensionen wie »Tolles Buch, aber Amazon hat es drei Tage zu spät geliefert« oder »Das ist für mich kein Krimi, wenn die Leiche erst in der Mitte des Buches kommt« tatsächlich ärgere. Man hat dann da ein oder zwei Sterne stehen, und es hat null mit dem Buch zu tun. Fallen objektive Fehler auf, greife ich das gern auf. Geschmacksfragen tangieren mich nicht so, denn man kann nicht jeden Leser glücklich machen. Wenn es jemandem nicht gefällt, ist das einfach so.

Was inspiriert dich, zu deinen Plots?

Schwere Frage. Im Grunde alles. Etwas, das ich lese (in einem der Skripte, die ich korrigiere 😃), ein Film, ein Gespräch, ein Bild … Manchmal kommt mir irgendetwas in den Sinn, von dem ich gar nicht weiß, woher es kommt, und daraus entwickelt sich dann etwas.
Ich habe mal ein Kinderbild von jemandem auf Twitter gesehen und hatte aus irgendeinem Grund einen Vater im Sinn, der sein Kind ebenso lächeln sehen möchte wie den Jungen auf dem Bild. Daraus ist ›Der Fluch des Meerschweinchens‹ entstanden. Die Idee für ›Sturm über Boston‹ fing mit einem Witz einer meiner Testleserinnen an, die bei der Dinnerszene am Ende von ›Sodom‹ scherzte, ich könnte auch gern mal für sie kochen und sie würde dann testessen. Und dann war plötzlich der Koch da. Wie das genau funktioniert, kann ich aber nicht erklären.

Was würdest du dir von deinen Lesern wünschen?

Hmmm, mehr Rezensionen vielleicht. Selbst, wenn es ihnen nicht gefallen hat. Sonst kann mich auch jeder gern direkt auf alles ansprechen, was ihm / ihr durch den Kopf geht. Ich mag den Austausch. Es ist der Hauptgrund, warum ich schreibe.

Gibt es einen Prota in deinen Büchern, den du ganz besonders liebst oder ganz besonders hasst?

Gale und Jesse aus der ›Sturm‹ – Reihe mag ich schon sehr gern. Ist bisher das Paar, das mir am nächsten ist, Einen Hauptprota, den ich nicht mag, gibt es nicht, sonst wäre er nicht ins Zentrum gerückt. Ich schaffe auch nie so extreme Antifiguren, die ich überhaupt nicht mag. Also, natürlich mag ich einen Prota wie den Koch (aus ›Boston‹) nicht, zumal ich auch im Leser eine Antipathie gegen ihn erzeugen will, aber wenn ich dann ein Feedback bekomme, dass er so richtig widerlich gefunden wurde, mag ich ihn schon wieder, denn genau so wollte ich ihn ja haben. Er sollte so widerwärtig sein, und wenn die Leser sagen, sie haben ihn gehasst, macht er mich glücklich.

Gibt es eine bestimmte Zeit, in der du am liebsten schreibst?

Bei mir ist das nur von der Inspiration abhängig. Ich kann wochenlang keine Lust haben, obwohl ich Zeit hätte, um dann innerhalb von zwei Wochen den Basispolt aufzuschreiben, wobei es mir ganz egal ist, ob das mitten in der Nacht oder irgendwann mitten am Tag während meiner eigentlichen Arbeitszeit ist. Ich habe auch schon Deadlines nach hinten geschoben, weil ich unbedingt eine Idee aufschreiben »musste«.

Wie muss deine Umgebung beschaffen sein, damit du gerne schreibst?

Ich habe seit vielen Jahren ein Home Office. Das ist so eingerichtet, dass ich jederzeit loslegen kann, wenn es mich sozusagen überkommt.

Gibt es etwas, das auf keinen Fall fehlen darf, wenn du schreibst?

Außer Ruhe nichts Besonderes. Ich höre keine Musik oder so was. Manchmal spielt Musik in meinen Büchern eine Rolle, aber ich höre die Stücke nicht zu der entsprechenden Szene. Und man stört mich besser nicht, wenn ich einen Kreativitäts-Anfall habe. Die Katze macht es trotzdem, aber sie ist die Einzige, die das darf. ^^

Schreibst du mehrere Bücher parallel oder lieber eines nach dem anderen?

Eins nach dem anderen. Das liegt aber hauptsächlich daran, dass ich als Lektor meistens an mehreren Skripten gleichzeitig arbeite. Wenn ich das bei meinen Büchern auch noch machen würde, würde ich verrückt werden.

Hast du alle Länder, in denen deine Bücher spielen selbst besucht, oder gibt es auch welche, die du noch gerne bereisen willst?

Nein, ich habe nicht alle selbst bereist. Ich fahre aber sehr viel mit Google Streetview durch die Gegend. 😃 Der Rest ist Recherche. Ich denke, man muss auch ein bestimmtes Wissen und Gefühl für ein Land, eine Gesellschaft haben, über die man schreibt. Wenn ich mich in einer Kultur nicht zu Hause fühle, schreibe ich auch nicht darüber. Das hat noch nicht mal was damit zu tun, ob ich dort war oder nicht. Zum Beispiel war ich in Italien, aber ich würde kein Buch dort spielen lassen, weil mir die Mentalität nicht liegt und ich glaube, sie nicht authentisch darstellen zu können. Ich war nie in den USA, aber ich habe keine Probleme, dort eine Geschichte spielen zu lassen, weil ich mit vielen Leuten rede, einen Einblick habe, mir das vorstellen kann.

Entstehen alle deine Bücher in Eigenregie oder hast du bei bestimmten Phasen des Entstehungsprozesses Hilfe? Wenn ja, wo und in welcher Form?

Ich mache alles selbst, habe aber immer Testleser, mit denen ich den Plot diskutiere, um mögliche Logikfehler und andere Probleme aufzudecken, und Assistentin 2 muss das Ding am Ende nach vergessenen Wörtern und Tippfehlern absuchen, für die ich einen Blindspot entwickelt habe. Für die Cover habe ich eine Designerin, denn ich bin nicht gut in grafischen Dingen.

Welches Buch würdest du einem Leser, der deine Bücher entdecken will, als Einstieg empfehlen?

›Chained‹ war natürlich das erste im queeren Bereich, aber ich würde es nicht als Einstieg sehen, weil es ein Just for fun-Ding war. Ich hatte Bock eine actionreiche Abenteuergeschichte mit schwulen Kerlen zu schreiben. Um was anderes ging es da nicht. Es wurde ein bisschen der fehlende Tiefgang kritisiert, und das stimmt auch – weil die Geschichte gar keinen haben sollte. Oder ich habe keinen besonderen Wert darauf gelegt. ›Der Grossmeister der Gedanken‹ ist hingegen sehr Plot-lastig und ›Sturm über Sodom‹ ist dem einen oder anderen sicher zu politisch und dunkel. Dennoch würde ich eher zu einem von den beiden raten.

Was hast du als nächstes Projekt geplant?

Ich denke über einen 3. Teil der ›Sturm‹ – Reihe nach. Die ursprüngliche Idee gefällt mir aber doch nicht, also stecke ich gerade fest. Das ist auch der Grund, warum ich ungern über »das nächste Projekt« rede, denn solange ich mir nicht sicher bin, was ich machen will, kann alles passieren. 😃 Es kann sein, dass ich es komplett verwerfe und mit etwas gänzlich anderem komme, einfach, weil das eine zu mir gesprochen hat und das andere nicht.

Wo findet man dich?

Ich beschränke mich aus Zeitgründen auf Facebook. Meine Autorenseite leidet ständig unter der FB-Politik, sodass die Reichweite unter aller Sau ist, daher gern auf dem normalen Account vorbeischauen und einfach anquatschen. Ich antworte vielleicht nicht immer gleich, aber im Gegensatz zum RL unterhalte ich mich virtuell ganz gern. 😃

Interview vom 06. Mai 2020