Leben im Käfig

von Raik Thorstad

Klappentext:
Andreas von Winterfeld leidet unter einer schweren Form von Agoraphobie, die sich in Ermangelung einer Behandlung stetig verschlimmert. Isolation und unglückliche Familienumstände haben ihn zu einem Außenseiter gemacht, der sich kaum mit Menschen auskennt und auch seine Homosexualität niemandem anvertrauen kann – bis Sascha sein eintöniges Leben komplett auf den Kopf stellt. Doch auch Sascha hat sein eigenes Päckchen zu tragen und versucht noch, seinen Platz in der Welt zu finden. Können sich diese beiden ungleichen jungen Männer gemeinsam der Einsamkeit stellen?

Bild: © Buchsüchtig
Coverbild: © Cursed Verlag

Meine Meinung:
Andreas‘ Agoraphobie (die Angst vor großen, offenen und öffentlichen Plätzen) schränkt sein Leben nicht nur ein, sie beherrscht es. „Leben im Käfig“ passt als Titel wirklich zu einhundert Prozent, denn er lebt in einem Käfig aus Angst in einem Haus, dass für ihn auch zu einem Käfig wird, da er es nicht wirklich verlassen kann. Er ist nicht nur örtlich gefangen, sondern vor allem auch ein Gefangener seiner Ängste. Es war sehr bedrückend zu lesen, wie stark er seiner Krankheit ausgeliefert ist. Und wie extrem es ihn einschränkt.

Besonders sein Zimmer wird für ihn im Laufe des Buches nahezu überlebenswichtig. Es ist sein Rückzugsort und der einzige Platz, an dem er immer sicher zu sein scheint. Alles, was sich außerhalb abspielen muss, verursacht bei ihm Panikattacken und bringt ihn körperlich und vor allem seelisch an seine Grenzen und weit darüber hinaus.
Dass ein „normales“ Leben unter solchen Umständen gänzlich ausgeschlossen ist, versteht sich von selbst, denn die einfachsten Dinge wie Arztbesuche oder Einkaufsbummel, sind für ihn nahezu unmöglich und verlangen mehr von ihm, als er verkraften kann.
Er hat keine Freunde und geht nicht zur Schule, sondern ist meist allein und wird privat unterrichtet. Seine sozialen Kontakte sind auf ein Minimum heruntergeschraubt. Diesen Umstand empfand ich als außerordentlich traurig und schmerzhaft. Allerdings gab es im Buch weitaus aufwühlendere Situationen für mich, die immer dann auftraten, wenn Andreas aufgrund seiner Agoraphobie nicht so handeln konnte, wie er es gerne getan hätte.

Er tat mir so unendlich leid und im Gegenzug habe ich seine Eltern wahnsinnig gehasst. Karrieregeile Ignoranten, die sich weder um ihren Sohn kümmern, noch versuchen ihm zu helfen. Statt dessen wird alles über Geld, Vorwürfe, Druck, Resignation und halbherzige Versuche ihm zu helfen geregelt, für die sie aber immer wieder die völlig falschen Ansätze wählen. Denn mit einem neuen Computer ersetzt man weder Liebe noch Zuneigung oder Verständnis und Hilfe.
Dass ihr Sohn sich nach all diesen Dingen sehnt, können sie einfach nicht sehen. Ständig ist alles andere wichtiger.

Die Firma, die Meinung der außenstehenden Menschen, ihr eigenes Befinden. Alles ist wichtiger als ihr Sohn. Ihre Ignoranz hat mich beim lesen stinkwütend gemacht. Auch das sie nie Zeit für ihn hatten, empfand ich als sehr befremdlich. Sie hörten ihm nie zu, und waren auch in Notsituationen nicht für ihn da. Da Andreas kein Stück so ist, wie sie ihn gerne hätten, versuchen sie ihn zu verbiegen, bis er in ihr Weltbild passt. Das konnte nur nach hinten losgehen, was es dann auch tat. Emotionale Probleme sind nun mal nicht über Geld zu lösen.

Allerdings besserte sich die Situation für Andreas als er Sascha kennenlernt. Zumindest zeitweise. Denn auch Sascha kann nicht alles abfangen, was Andreas an Ballast mit sich herumzutragen gezwungen ist, da er selbst jede Menge Probleme hat. Aber er hat wirklich alles versucht und dabei mehr gegeben, als seine Kräfte zugelassen haben.

Dass ihre ersten Annäherungen schüchtern, vorsichtig und sehr zart waren, war für mich sehr überzeugend und hat mir beim Lesen wirklich gut gefallen. Überhaupt habe ich die beiden zusammen sehr geliebt. Sie sind so stark, verletzlich, romantisch und bezaubernd, dass ich gar nicht anders konnte. Ihr Umgang miteinander war teilweise sehr zärtlich und einfach rührend.

Die Geschichte las sich für mich sehr flüssig, denn der Schreibstil von Raik Thorstad gefällt mir gut und trug mich regelrecht durch die Seiten. Auch habe ich sowohl Andreas als auch Sascha sehr gut verstanden und sofort in mein Herz geschlossen. Ich habe so sehr mit ihnen gehofft und gelitten, wie ich es mir immer bei den Protas eines Buches wünsche. Sie waren beide auf ihre Art wundervoll und einzigartig. Und es war schmerzhaft, mich am Ende des Buches von ihnen trennen zu müssen, gerade im Hinblick auf die Ereignisse auf den letzten Seiten.

Erscheinungsdatum: 3. Februar 2020 im Cursed Verlag
Seitenzahl Taschenbuch: 680 Seiten