Der Sturm erwacht

von Irvin L. Kendall

Klappentext:
Im Frühsommer 1986 geht in den Wäldern South Carolinas ein Serienkiller um. Ein Fall, der die Polizei nicht sonderlich zu interessieren scheint, denn die Opfer sind schwarze Frauen. In Gale regt sich dagegen Widerstand, doch er hat lernen müssen, dass man mit Rebellion in dieser Gegend nicht weit kommt. Auch hat er selbst eine Menge Probleme, ist gefangen zwischen der schwarzen Kultur, mit der er aufgewachsen ist, und der scheinbar reichen, edlen Familie Lafayette, die die weiße Oberschicht repräsentiert. Obendrein hat er keine Ahnung, was er nach seinem Schulabschluss studieren soll, und er ist das Schlimmste, was man in den Südstaaten sein kann – schwul. Dennoch ist Gale fest entschlossen, seinen Weg zu gehen, um eines Tages in Freiheit leben zu können …

„Der Sturm erwacht“ ist ein Prequel zur „Sturm über“-Trilogie und erzählt mehr zu den Hintergründen, die Gale zu der Person gemacht haben, als die er uns in „Sturm über Sodom“ begegnet. Es ist eine Bonusgeschichte, lässt sich aber auch unabhängig als Coming of Age-Geschichte lesen. Da Gale die Liebe seines Lebens erst später trifft, ist es keine Romance. Es beinhaltet die eine oder andere explizite Szene, sodass 18+ empfohlen wird. Religiöse Menschen könnten sich in ihren Gefühlen verletzt fühlen.

Bild: © Buchsüchtig
Cover: © Irvin L. Kendall

Meine Meinung:
Es war schön in diesem Buch etwas über Gales Kindheit und Jugend zu erfahren. Aus den anderen Büchern der „Sturm über“-Reihe kenne ich ihn nur als selbstbewussten und überaus coolen, sympathischen Typen, der sich nichts sagen lässt und mit beiden Beinen fest im Leben steht. Das tut er hier zwar auch aber dadurch, dass er erst an der Schwelle zum Erwachsenen steht, ist doch noch vieles anders. Seine Familienumstände sind eine Katastrophe. Er wird regelrecht abgeschoben, isoliert, ignoriert und gehasst. Es wird sich in keinster Weise um ihn oder seine Zukunft gesorgt. Wie man so etwas seinem Kind antun kann, werde ich nie verstehen. Die Gründe dieses Hasses sind nicht seine Schuld und er ist trotzdem der Leidtragende. Dazu noch die Verlogenheit und Heuchelei seiner Familie… Nach aussen sieht alles schick und perfekt aus und unter der Oberfläche ist alles dreckig, verlogen und widerlich. Sie hecheln einer Vergangenheit hinterher, die sich nicht mehr zurückholen lässt und alles was sie versuchen darzustellen verbirgt nur die wahren Zustände zu denen sie nicht stehen können. Bei ihnen ist regelrecht die Zeit stehengeblieben und es fällt Gales Familie nicht auf, dass sie nicht länger auf den Abgrund zurasen, sondern sich schon längst im freien Fall befinden.

Und nicht nur in Gales Familie ist es so. Die gesamte Gesellschaft stinkt mit ihrer Heuchelei und aufgesetzten Moral zum Himmel. Sie leben alle, als wenn sich nichts geändert hätte und sie sich nicht auch schon längst hätten anpassen müssen. Leider macht dieses ganze Situation Gales Leben nur noch zusätzlich schwer. Dabei hat er schon genug Problem aufgrund seiner Homosexualität die er wegen des Sodomieparagrafen verbergen muss. Allein Kondome zu kaufen erfordert akribische Planung, ist unendlich kompliziert und von Seiten der Verkäufer mit Scham behaftet. Kranke Scheiße… Dabei schützen die Dinger vor sexuell übertragbaren Krankheiten und sorgen für etwas mehr Sicherheit bei all jenen, die sie benutzen. Aber das ist allgemein bekannt und ich muss das hier nicht erwähnen.

Neben Gales persönlicher Geschichte wird auch ein Kriminalfall thematisiert. Mich hat es schockiert, wie von Seiten einiger Frauen darüber gesprochen wurde und dass die Polizei sich nicht angemessen darum kümmerte, da der Mörder „nur Schwarze umbringt“. Immer wieder werden in diesem Buch Rassismus, Homophobie und veraltete Moralvorstellungen thematisiert und ich fragte mich unweigerlich, ob das Buch wirklich im 20. Jahrhundert spielt, oder nicht eher einige hundert Jahre früher. So eine verkorkste Gesellschaft ist einfach unglaublich und davon zu lesen machte mich wütend und auch ein wenig traurig, denn nicht alles in diesem Buch ist Fiktion.

Es gibt und gab Menschen, die tatsächlich mit diesen Problemen konfrontiert sind bzw. waren. Menschen, die einfach nur leben und lieben wollten… und denen die verdrehten Moralvorstellungen anderer Menschen Steine in den Weg legten. Leben und leben lassen, scheint in Gales Umfeld noch nicht einmal als Idee geboren zu sein.

Ich habe Gale dafür bewundert, wie er sich immer wieder durchbiss und seine Zukunft gestaltete. Und das auch noch völlig allein, denn seine Familie unterstützt ihn in keinster Weise. Ohne seine Hartnäckigkeit, Intelligenz und Moral wäre er keinen Meter weit gekommen. Aber dadurch, dass er sich von seiner Familie stark unterscheidet liegt eine Zukunft vor ihm, die ein erfülltes Leben in Freiheit und Selbstbestimmung verspricht.

In einem Interview sagte Irvin mal sinngemäß, „wenn ich schreibe, dass es an einem bestimmten Tag an einem gewissen Ort geregnet hat, dann war das auch so.“ Und allein durch diese Akribie, lesen sich Irvins Bücher so, als wenn er selbst dabei gewesen wäre und ich habe keinen Moment daran gezweifelt, dass sich die Geschichte genau so zugetragen haben könnte. Seine Charaktere sind in diesem Buch wieder wunderbar ausgearbeitet und waren mir somit vom ersten Augenblick an vertraut. Sie sind nicht perfekt, haben Ecken und Kanten und handeln sehr menschlich. Im Guten, wie auch im Bösen. Das gesamte Buch über blieb die Geschichte für mich sehr spannend und hat mich auch zum Nachdenken angeregt, da hier einige Themen angesprochen wurden, die vor Ungerechtigkeit nur so strotzten und mich damit auch wütend machten. Zu wissen, dass all die dort beschriebenen Umstände tatsächlich so waren, und teilweise immer noch so sind, ist beinahe unerträglich.

Von mir eine klare Leseempfehlung, denn die Geschichte um Gale ist nicht nur spannend erzählt, sondern regt auch sehr zum Nachdenken an, ist gut recherchiert und somit greifbar, denn ich weiß, dass Irvin sich immer sehr mit den von ihm beschriebenen Gegebenheiten auseinandersetzt. Ich liebe Irvins Bücher nach wie vor. Sein Schreibstil ist wunderbar, teilweise nüchtern aber niemals langweilig oder unbeteiligt. Eher akribisch und somit informativ und gut lesbar. Ich freue mich auf weitere Bücher des Autors und lege sie allen ans Herz, die keine schmalzige Lovestory brauchen, sondern spannende Krimis mit sehr gut ausgearbeiteten Charakteren und einem überraschenden Plot suchen.

Erscheinungsdatum: 31. Oktober 2020
Seitenzahl Taschenbuch: 258