Diebe des Lichts

von Philipp Blom

Klappentext:
Seit Sander als Junge 1572 in Flandern miterleben musste, wie sein Vater von den spanischen Besatzern ermordet wurde, ist er ein Getriebener. Ein Meister bildet ihn als Blumenmaler aus, und sein Bruder Hugo, der nach dem Tod seiner Eltern verstummt ist, mischt für ihn die Farben.

Doch Hugo ist ebenso jähzornig und unberechenbar wie sanft, und als er ein Gewaltverbrechen begeht, müssen er und Sander fliehen. Sie finden Anstellung in einem Atelier in Rom, erleben die Verschwendungen des Papstes, die Intrigen im Kardinalspalast von Neapel und beide auf ihre unterschiedliche Art die Freuden verbotener Liebe. Immer wieder entdeckt Sander einen Ausweg aus scheinbar aussichtslosen Abenteuern.

Ein großer Roman, der prägende Gestalten wie Giordano Bruno, Caravaggio und die großen Kleriker lebendig macht.

Cover: © Bauer und Möhring, Grafikdesign Berlin
Bild: © Buchsüchtig


Meine Meinung:
Ich bin sofort im 16. Jahrhundert gewesen und habe die Beschreibungen des Marktplatzes, auf dem Sander seine Bilder anbietet, geliebt. Sämtliche Farben, Formen, Düfte und Gerüche konnte ich so wahrnehmen, als wenn ich selbst dort wäre und vor allem Sander war sehr klar und deutlich für mich zu erkennen mit seiner mürrischen, verschlossenen und stolzen Art, die ich auf Anhieb an ihm geliebt habe. Vielleicht war es auch sein Mut, der ihn sympathisch machte, denn er ließ sich nicht einschüchtern und ich hatte den Eindruck, dass er lieber sterben würde, als vor jemandem zu buckeln den er verachtet. Für mich wurde das in seinem Verhalten deutlich, als er auf Diana traf. Für mein Empfinden bewegten sich die beiden auf einer Wellenlänge und schienen trotzdem sehr verschieden zu sein.

Neben Sander war auch sein Bruder Hugo interessant, denn dieser zeigte mir beim Lesen ein nächtliches Rom, das sich sehr von dem des Tages unterschied. Mit ihm offenbarte sich die queere Komponente des Buches und ich entdeckte ein verstecktes und nur im Dunklen und Verborgenen existierendes Leben, welches bei weitem interessanter ist als die künstliche Fassade, die man am Tage sieht. Wie immer und überall zeichnet sich hier ab, dass viele Menschen ein Doppelleben führen und ein Teil ihrer Selbst nur im Dunklen ausbrechen darf. Versteckt, leidenschaftlich, ängstlich und vor allem lebensgefährlich zu dieser Zeit. Und irgendwie habe ich Hugos Mut bewundert. Was ich dagegen verachtet habe, war Virgilios Diebstahl den er schamlos als seine eigene Idee ausgegeben hat, statt einfach zuzugeben, dass er nicht in der Lage ist die ihm gestellte Aufgabe auszuführen. Aber da stand ihm wohl sein Stolz im Weg. (An einer Stelle im Buch steht ‚Per asperaa ad astra‘, ‚Durch Schwierigkeiten zu den Sternen‘. Passte irgendwie ganz gut zu Virgilio, wenn auch auf eine andere Art…)

Was ich auch liebte, war Sanders Kampfgeist. Er kämpft verbissen um das, was er haben will und lässt sich durch nichts von seinem Ziel abbringen. Dabei nutzte er geschickt die Verdorbenheit und Skrupellosigkeit anderer Menschen für seine Pläne, wobei ihm sein Bruder aufgrund seiner Besonderheit eine große Hilfe ist. Ohne ihn hätte er vermutlich keine Chance gehabt. Und auch wenn sie sehr gegensätzlich sind, so sind die Brüder doch unendlich wichtig füreinander und auf den jeweils anderen angewiesen. Irgendwie bilden sie eine Einheit und ich habe ihre Beziehung als spannend und interessant wahrgenommen.

Was mich sehr an dieser Geschichte beschäftigt hat, waren die Rollen der Frauen. Irgendwie schien es nur zwei Möglichkeiten zu dieser Zeit zu geben. Entweder Hure oder Heilige. Sie wurden verkauft und verheiratet wie es ihren Vätern und Ehemännern gerade passte, ohne dass sie auch nur einen Funken Mitspracherecht, oder die Möglichkeit ihr Leben selbst zu gestalten, hatten. Für mich eine untragbare Situation. Ein selbstbestimmtes Leben ist für Frauen dieser Zeit nicht vorgesehen und sie können zu keinem Zeitpunkt in ihrem Leben wählen was sie tun, oder mit wem… Eine grauenvolle Vorstellung. Sander versucht im Rahmen seiner Möglichkeiten zumindest bei einem Mädchen Besserung zu erzielen, allerdings stellen sich ihm so viele Menschen in den Weg, dass ich es absolut widerlich fand, wie seine Bemühungen und sein guter Wille untergraben und zunichte gemacht wurden. Ein Menschenleben zählt nichts zu dieser Zeit. Und noch weniger das eines Mädchens, denn davon gibt es genug. Eines mehr oder weniger, völlig egal… Und gerade die Kirche, die ja ach so barmherzig und gnädig ist, zeigte sich dabei von ihrer schlimmsten Seite. Deren Würdenträger sind selbstgerecht, anmaßend, arrogant, geldgierig, verlogen und egoman. Gerade die, die helfen müssten, die sich um die Menschen kümmern müssten sind genau die, die nur an ihren Profit und ihren Vorteil denken. Wahrhaft gläubig schien mir keiner zu sein, denn sie waren nicht einmal in der Lage die zehn Gebote zu befolgen.

Das einfache Volk darbt, leidet und stirbt und an anderer Stelle herrschen Verschwendung, Geltungssucht, Aberglaube und Machtgier. Eine untragbare Situation, in der die die helfen wollen, verfolgt, bestraft und hingerichtet werden. Da helfen auch die kleinen Leuchtfeuer in der Dunkelheit nicht viel, denn sie sind zu wenige und verfügen nicht über die benötigte Macht, die alles zum Besseren wenden könnte. Sander arrangiert sich mit seiner Situation aber ich denke, dass er es sich auch anders gewünscht hätte. Er wird durch die Umstände ausgebremst und kann sich nicht so ausleben, wie er es gerne würde.

In diesem Buch zeigte sich einmal mehr, dass niemand frei ist. Jede*r hat Menschen, für deren Wohlergehen er/sie sorgt und durch die er/sie sich verschiedenen Situationen nicht entziehen kann. Gerade Sander ging es so, denn sowohl Chiara, als auch sein Schützling und sein Bruder sind auf ihn angewiesen. Und um deren Unversehrtheit zu sichern ist er gezwungen Dinge zu tun, die er nicht tun will. Er ist freier als manch anderer, aber diese Freiheit kostet ihn an anderer Stelle seine Selbstbestimmung und ich bin mir nicht sicher, ob der Preis immer gerechtfertigt war. Vermutlich schon, wenn man bedenkt wen er mit seinem Verhalten schützen konnte, aber trotzdem ist es eine sehr unglückliche Situation. Sein Geist ist alles andere als frei und ich habe das sehr bedauert. Er kam mir wie ein Vogel mit gestutzten Flügeln vor, der in seinem Käfig sitzt und singt. Die Schatten seiner Vergangenheit begleiten ihn auf seinem Weg und auch wenn er jahrelang an seiner Rache arbeitete, so wird er sie doch niemals ganz besiegen können. Die Dämonen seiner Kindheit sind zu real und zu mächtig, als dass er sich jemals ganz von ihnen befreien könnte. Ich glaube, wenn man solchen, wenn auch berechtigten Hass, jahrzehntelang mit sich trägt, kann selbst die Erfüllung aller Wünsche und Rachegedanken, keine wirkliche Erlösung bringen. Die Seele ist zerfressen und kann niemals wieder ganz heilen.

Ich mochte es, dass viele Themen die schon immer Bestand hatten, in diesem Buch zu Sprache kommen. Die menschliche Schwäche, die Gier, die Liebe… Es wird gelogen, betrogen und nur an den eigenen Vorteil gedacht und doch gibt es immer wieder winzige Leuchtfeuer zwischen all dem Morast, die allerdings nicht die geringste Chance gegen das Böse haben und schneller verlöschen, als sie aufflammen. Und trotzdem ist dieses Buch keineswegs hoffnungslos. Es strahlt, suhlt sich im Dreck, leuchtet und versinkt in Dunkelheit. Mir hat vor allem dieser allumfassende Aspekt gefallen, denn die Gefühle der Menschen sind zu allen Zeit ähnlich. Niemand ist perfekt. Wir alle haben unsere dunklen Seiten, die sich Bahn brechen, wenn die Situation es erfordert. Und wir alle sind in Extremsituationen zu Dingen fähig, die wir vielleicht nie für möglich gehalten hätten. In diesem Buch geht es einigen Menschen so und ich mochte es sehr, dass absolut niemand langweilig perfekt war, sondern alle ihre dunklen, verborgenen Seiten hatten, die immer dann ans Tageslicht traten, wenn es unerträglich wurde.

Das Buch endet, wie es begonnen hat. Die Krähe scheint mir hier die einzige ohne Schuld zu sein. Alle anderen eher nicht… Gerade deshalb kann ich dieses Buch empfehlen. Wer allerdings eine queere Liebesgeschichte sucht, wird enttäuscht sein. Die Handlung ist um Sander herum aufgebaut und sein Bruder ist zwar unendlich wichtig, spielt aber trotzdem nur eine Nebenrolle. Wer allerdings ein mitreißendes, forderndes und ganz wundervolles Buch voller Spannung, menschlicher Abgründe und Hoffnung(slosigkeit) sucht, dem sei dieses Buch wärmstens empfohlen. Der Schreibstil ließ mich regelrecht in den Seiten versinken und ich habe das Buch mit einer Träne im Augenwinkel geschlossen.

Erscheinungsdatum: 11. Oktober 2021
Seitenzahl Taschenbuch: 480